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Stele 6Lindenhof-Erweiterung

Geschichten:
Heinrich Lassens Erweiterungsbau in den 1920ern
mit Dr. Barbara König

Geschichte:
Lindenhof-Erweiterung

Geschichten:
Heinrich Lassens Erweiterungsbau in den 1920ern
mit Dr. Barbara König

Die Audiofolge zum Lesen

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Erzähler: Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen, willkommen bei Geschichte und Geschichten aus dem Lindenhof, einem Projekt der GeWoSüd und des Genossenschaftsforums, in dem es darum geht, die Menschen aus dem Lindenhof zu Wort kommen zu lassen und zu hören, was für sie den Lindenhof ausmacht.
Ich bin Sebastian Mehling vom Genossenschaftsforum, hier gleich im Erweiterungsbau des Lindenhofs um die Ecke in der Eythstraße 32.

Und hier, an der sechsten und letzten Stele des Rundgangs, soll es auch um genau diese Erweiterung des Lindenhofs nördlich der Eyth- und entlang der Bessemer Straße durch Heinrich Lassen und Adolf Jürgensen gehen. 1929 wurde sie fertiggestellt zur Hochzeit der Weimarer Republik, genau zwischen der Hyperinflation von 1923 und der Weltwirtschaftskrise, die ab 1929 das Bauen in Berlin wieder zum Erliegen brachte.

Und ich habe dazu mit niemand anderem als Dr. Barbara König, Architektin, promovierte Soziologin und Geschäftsführerin des Genossenschaftsforums gesprochen und sie gefragt, was diese Erweiterung des Lindenhofs baulich so besonders und aus Sicht der genossenschaftlichen Entwicklung des Wohnens während der Weimarer Republik so bemerkenswert macht. Und was wir heute daraus für das genossenschaftliche Bauen in einem komplizierten Berliner Wohnungsmarkt lernen können.

Erzähler: Zunächst einmal wollte ich aber mehr zu Heinrich lassen wissen. Den Baustadtrat Schöneberg in den 20er Jahren und seinen so gar nicht mehr gartenstadtmäßigen Erweiterungsbau des Lindenhofs.

Dr.Barbara König: Heinrich Lassen ist Martin Wagner nachgefolgt, ab 1921 als Stadtbaurat in Schöneberg. Er war allerdings 20 Jahre älter als Martin Wagner und war auch aufgrund seines Alters und seiner schon langen Berufstätigkeit auch in der Kaiserzeit noch viel mehr. Ursprünglich eigentlich dem Architekturstil der Kaiserzeit verhaftet, also hat noch wesentlich länger als Martin Wagner eigentlich in so einer Art romantischen Baustil entworfen und gebaut, zum Beispiel, eines seiner bekannteren Projekte sind die Ceciliengärten ganz in der Nähe des Lindenhofes, westlich vom Südgelände in Schöneberg, 1922 bis 1927 erbaut und mit wirklich noch viel Elementen des Jugendstils, die dort eingebaut sind. Ab Mitte der 20er Jahre dominiert, dann aber in der Architektur in Deutschland, vor allem auch in Berlin, der Stil des Neuen Bauens. Die wichtigen Träger sind da die Brüder Taut Max und Bruno Taut und Heinrich Lassen hat dann angefangen, in dieser Art Stil zu bauen. Ein berühmtes Beispiel ist das von ihm 1928 errichtete Stadtbad Schöneberg, das dann wirklich ganz klar in klaren Linien und flachen Fassaden sehr schnörkellos errichtet wurde. Aber eben dann auch die Erweiterungsbauten des Lindenhofs, die ganz offensichtlich dem neuen Bauen verhaftet sind, mit sehr klaren Formen, flachen Dächern, horizontaler Gliederung. Das war eine starke Abkehr von dem eigentlichen Lindenhof.

Trotzdem kann man sagen, das ist eine sehr passende und interessante Ergänzung war. Die Gebäude sind so ausgerichtet, dass sie quasi ein Rückgrat haben, entlang der im Norden angrenzenden Gewerbegebiete also so eine Art Wall gebildet haben und offene Höfe, Wohnhöfe, die sich offen zur Straße, aber eben auch zum eigentlichen Lindenhof gebildet haben, geformt haben, mit Gebäudefingern, etwas niedrigeren dreigeschossigen, die sich dann eben zum Lindenhof hin gerichtet haben und so eine wohnliche und auch gemeinschaftliche Situation hin zur Siedlung des Lindenhofs geschaffen haben.

Im Rahmen der wirklich immer größer werdenden Stadt und auch des wachsenden Industriegebietes, da im Norden des Lindenhofes, war der Wohnraum dringend notwendig und auch die Genossenschaft hatte die Möglichkeit, sich da zu erweitern und hat die Gelegenheit genutzt. Und was auch wichtig ist, dass mit diesen Bauten auch Ergänzungen gemacht wurden, die sicherlich bis dahin im Lindenhof fehlten. So wurden also gerade im letzten Teil, wo auch heute der Werkraum des Genossenschaftsforums liegt, wurden Gewerbe untergebracht. Die Geschäftsstelle des GeWoSüd oder der damaligen Genossenschaft ist da eingezogen. Aber es gab auch kleinere Läden, sodass da also die Infrastruktur Versorgung der ganzen Siedlung mit untergebracht wurde.

Erzähler: Der Erweiterungsbau des Lindenhofs war aber nicht nur baulich ganz anders als die ursprüngliche Gartenstadt von Martin Wagner. Für sie konnte Heinrich Lassen auf eine neuartige Förderung für gemeinnütziges Bauen in der Weimarer Republik zurückgreifen, welche einen wahrhaften Bauboom unter Genossenschaften in Berlin auslöste.

Dr.Barbara König: Tatsächlich konnte ja, anders als bei der eigentlichen Lindenhofbebauung, also von 1919 bis 21 für die Erweiterung in der Eythstraße und der Bessemer Straße ja auch öffentliche Förderung genutzt werden. Das war damals die Phase der Hauszinssteuer. Die wurde 1924 eingeführt, staatlicherseits eine Steuer auf die Mieten der Altbaubestände. Man nahm an, dass die privaten Eigentümer der Häuser sich durch die hohe, hohe Inflation Anfang der 20er Jahre entschuldet hatten und dadurch jetzt sehr hohe Gewinne nun einnehmen konnten. Und insofern legte man also auf die Erträge aus den Altbauten eine Extrasteuer, die wiederum zum Wohnungsbau beitragen sollte. Und diese Förderung, die man damit bezahlte, konnten sogenannte gemeinnützige Wohnungsunternehmen nutzen. Das waren eben überwiegend die städtischen Gesellschaften, die eigentlich gerade erst frisch geschaffen waren, aber auch eben Genossenschaften und ein paar kirchliche Gesellschaften.

Und in der Zeit ist ja gerade in Berlin, aber auch in ganz Deutschland ein immenser Wohnungsbau entstanden zwischen 1924 und 29, also genau die Zeit, in die dann auch dieser Erweiterungsbau fiel. Sieht ein eklatant riesigen Siedlungsbau. Wir haben in Berlin viele Siedlungen, die gerade so insbesondere etwas außerhalb des S-Bahn Rings entstanden sind, den Gegenden, wo zu dem Zeitpunkt noch Flächen da waren. Die Siemensstadt ist berühmt, die Weiße Stadt im Wedding, aber auch die Siedlung am Schillerpark, die Carl Legien Siedlung und natürlich die Hufeisensiedlung in Britz, sind die berühmtesten Siedlungen dieser Zeit, die ja auch heute zum Weltkulturerbe gehören.

Irrsinnige Wohnungsbauzahlen sind damals in der Zeit geschaffen worden durch die Möglichkeit, hier durch das hohe Steueraufkommen weniger Kredite aufnehmen zu müssen, Förderungen in Anspruch nehmen zu können und aber auch die ja letztlich stärker industrialisierten Bauprozesse, die das Bauen in der Zeit günstiger gemacht haben. Was allerdings dann kam, war die Weltwirtschaftskrise ab 1929. Auch der Erweiterungsbau im Lindenhof war davon betroffen. Ab dem Zeitpunkt, trotz weiterhin noch bestehender Hauszinssteuer, wurde im Prinzip gar nicht mehr gebaut. Die Wirtschaft ist zusammengebrochen, es gab keine Möglichkeit und auch der letzte Teil der Erweiterung, der nördliche Riegel in der Bessemer Straße konnte nur noch fertiggestellt werden, mit Abstrichen während der erste Teil hohen technischen, damals hohen technischen Standard mit Zentralheizung etc. hatte, konnte im nördlichen Teil dann nur noch Ofenheizung eingebaut werden, weil einfach die Mittel nicht mehr da waren und man gucken musste, dass man die Gebäude überhaupt noch fertig bekam. Und insofern stellen diese Erweiterungsbauten auch definitiv eine ganz klare Zeitenwende auch für die Genossenschaft und alle in der Zeit Bauenden da, weil ab da hat sich ja dann erst mal ein paar Jahrzehnte im Sinne des Weiterbauens nichts mehr getan, sondern dann bis zum Zweiten Weltkrieg, wurde im Prinzip nicht mehr gebaut und dann ja tatsächlich eher die Stadt ganz wesentlich zerstört.

Erzähler: Zeitenwenden sind in der bewegten Geschichte des Lindenhofs ja so einige zu finden und auch heute gibt es scheinbar keinen Mangel an Zeitenwenden und Krisen. Und auch heute haben wir es mit einem schwierigen Wohnungsmarkt in Berlin zu tun. Deshalb fragte ich Barbara König, ob es etwas gibt, was wir vielleicht gerade heute wieder lernen können von Heinrich Lassen und seinen Weimarer Baugenoss:innen.

Dr.Barbara König: Also wenn man da die Zahlen vergleicht, was in der Zeit gebaut wurde, das geht in die Hunderttausende pro Jahr. Heute reden wir in Berlin von 20.000, Wohnungen, die im Jahr gebaut werden sollen. Aber bisher sind es immer nur Wünsche. All diese Ziele können immer nicht erreicht werden. Und es ist auch gerade jetzt kaum zu erkennen, dass es geschafft wird, angesichts steigender Baupreise und einem über nachgefragten Markt, der es schwierig macht, überhaupt Bauland zu bekommen, aber auch Genehmigungsverfahren, die extrem langwierig sind, sehr, sehr hohe Auflagen in jede Richtung, natürlich in puncto Klimaschutz, aber auch Brandschutz etc., die das Bauen immer weiter erschweren. Jede Auflage für sich sicherlich sinnvoll und wichtig, aber eben alles zusammen macht das Bauen immer schwieriger. Und im Ergebnis schaffen wir heute bei weitem nicht das, was in dieser Zeit der 20er Jahre erreicht wurde. Sicherlich ist die Wohnungsnot auch nicht ganz so groß. Man muss ja bedenken, in den 20er war Berlin schon mal 4 Millionen Einwohner stark. Da sind wir jetzt noch immer nicht und das, mit wenig wesentlich mehr Gebäuden als zu der Zeit.

Ja, aber man wünscht sich manchmal doch diese sehr hemdsärmelige und wirklich zielorientierte Politik zu der Zeit der Weimarer Republik zurück, die all dieses Bauen in kürzester Zeit möglich gemacht hat. Und das ist vielleicht auch der einer der größten Unterschiede von dem heutigen Bauen zum damaligen. Also damals, die haben einfach Dinge gewagt und da wurde auch nicht jede Empfindlichkeit immer abgewogen, sondern man wollte einfach auch was Neues. Das hat sicherlich viel auch mit der Zeit, zu tun, es war ja was Neues. Alles war neu, es war eine Republik. Das alte System ist abgeschafft worden. Es gab jetzt für alle Mitbestimmungsmöglichkeiten. All das sollte irgendwie dargestellt werden. Es ging wirklich um Gewagtes. Also auch ganz klar sich abgrenzen von dem Alten. Heute haben wir so viel Belangloses bauen und da wünscht man sich wirklich die Zeit – also ich zumindest – zurück, in der dann doch ein bisschen mehr Mut vorherrschte, Mut, auch ruhig mal eben anzuecken und Diskurse oder Diskussionen anzuregen, aber es trotzdem zu tun.

Erzähler: Mal anecken, was wagen und dabei die Diskussion nicht scheuen – kein Wunder, dass Barbara König dann auch einen nur auf dem ersten Blick überraschenden Lieblingsbau im Lindenhof hat, einen ziemlich Eckigen und recht Gewagten, der sich so gar nicht in die Gartenstadtidylle Martin Wagners rund um den See einzufügen scheint und doch vielleicht gerade deshalb so gut zum Lindenhof passt, mit all seinen Zeitenwenden, Brüchen und dem Immer wieder Aufbrechen und Neuanfangen, das ihn so einzigartig macht.

Dr.Barbara König: Also am See finde ich es wirklich wunderschön. Das ist einfach auch die Stelle zwischen den beiden ehemaligen Umkleidekabinen. Das ist einfach ein wunderschöner Ort und ich mag auch sehr den Blick, die Achse entlang, genau von dieser Stelle Richtung Schule, in der man, wie ich finde, heute noch am besten – weil dann natürlich auch vor allem die alten Gebäude auch noch alle stehen – erkennen kann, was Martin Wagner und auch Bruno Taut damals erreichen wollten mit der Entwicklung der ganzen Siedlung.

Aber was ich auch sehr gerne mag, ist das Hochhaus. Ich mag die Ergänzung der 60er und 70er Jahre, die ja zum Teil auch sehr brutal da reingesetzt wurden, ohne die Rücksicht, die man heute wahrscheinlich nehmen würde auf die ursprünglichen Gedanken und Formen und Kubaturen usw. – aber ich finde das Hochhaus steht da in einer prächtigen Art und Weise, am Ende des Sees. Das gefällt mir auch immer sehr gut.

Sebastian Mehling: Ich will da irgendwann mal oben aufs Dach.

Dr.Barbara König: Ja, ich auch. Da würde ich sehr gerne mal hin und einfach die Aussicht genießen. Das also finde ich bewundernswertes, ein total schönes Gebäude.

Erzähler: Also, wenn ihr es noch nicht gesehen habt, geht mal um den See und schaut euch das Hochhaus an! Es lohnt sich und es lohnt sich auch die anderen Gespräche auf den Stelen des Lindenhof Rundgangs anzuhören. Falls ihr es nicht eh schon getan habt.

Wenn ihr weiteres Wissenswertes über die Genossenschaften in Berlin, ihre Geschichte und aktuellen Entwicklungen erfahren wollt, kommt auch bei uns vorbei. Im Werkraum des Genossenschaftsforums. Jeden Donnerstag, 15 bis 18 uhr, haben wir unsere Ausstellung geöffnet und jeden zweiten Samstag im Monat führen wir durch den Lindenhof.

Aber jetzt wie immer vielen Dank fürs Zuhören und bis bald, Euer Sebastian Mehling.

100 JahreLindenhof

Stele 6 – Lindenhof-Erweiterung

Ab 1929 wurde der Lindenhof auf dem nördlich angrenzenden Areal um zwei Gebäude-Ensembles erweitert. Zunächst entwarfen die Architekten Lassen und Jürgensen eine kammartige Flachbebauung entlang der Eythstraße, deren Rückgrat viergeschossige Häuserzeilen bilden, die von nach Süden geöffneten Vorhöfen unterbrochen werden, welche wiederum eingerahmt werden von dreigeschossigen Hausgruppen. Vom Baustil her völlig anders als der Lindenhof von Martin Wagner, vollzog sich hier eine Abkehr von der Gartenstadt-Idee hin zu Konzepten des Neuen Bauens mit den Schlagworten „Licht, Luft und Sonne“. Diese von der Bauhaus-Bewegung inspirierte Architektur mit langen Häuserzeilen ermöglichte die schnelle und kostengünstige Errichtung einer großen Anzahl von Wohnungen mit praktischem Schnitt, diente jedoch nicht zuletzt auch der Abschirmung des bestehenden Lindenhofs von der Lärm- und Geruchsimmission, die von dem sich weiter nördlich anschließenden Industriegebiet ausgingen, das in den 1920er-Jahren dort entstanden war.

Das Erweiterungsprojekt war nicht unumstritten innerhalb der Genossenschaft. Viele Mitglieder hatten Zweifel, ob ein solch großes Bauvorhaben nicht eine finanzielle Überlastung der Genossenschaft mit sich bringen würde, andere befürchteten, dass sich die bis dahin niedrigen Nutzungsgebühren für die Wohnungen erhöhen würden und forderten deshalb, dass die Neumieter nicht in die Genossenschaft aufgenommen werden und damit nicht in den Genuss von günstigen Mieten kämen. Die Bewohner des Lindenhofs hatten sich aufgrund der etwas abgeschiedenen Lage bis dahin zu einer starken, fast schon eingeschworenen Gemeinschaft zusammengefunden, die in verschiedenen Ausschüssen und Kommissionen das genossenschaftliche Leben im Lindenhof organisierte und zudem über ein sehr reges Vereinswesen verfügte – der Lindenhof war zu einem Ort der gelebten Demokratie geworden, wo sich jeder Bewohner in verschiedener Weise und unterschiedlichen Graden einbringen konnte. Die Zweifler unter den Genossenschaftsmitgliedern konnten sich jedoch nicht durchsetzen und die Erweiterung war bald beschlossene Sache: Im April 1929 erfolgte der Baustart für 237 1,5- bis 2,5-Zimmer-Wohnungen im nördlichen Teil der Eythstraße.

Die Geschäftsstelle der Genossenschaft Lindenhof zog bereits im Dezember 1929 in ihre neuen Räume in der Eythstraße 32, ab Januar 1930 konnten dann die Wohnungen bezogen werden, wobei die neuen Mieter bis Ende 1931 vollständig der Genossenschaft beitraten. Und diese hatten Glück mit der Ausstattung ihrer Wohnungen, insbesondere mit der Zentralheizung, die den Neubau mit Wärme und Warmwasser versorgte, denn der zweite Erweiterungsbau, der 1930/31 in der Bessemerstraße entstand, konnte wegen einer städtischen Notverordnung infolge der Weltwirtschaftskrise nur noch mit vereinfachten Standards wie z.B. Ofenheizung und vor allem kleineren Wohnungen errichtet werden.

Die Weltwirtschaftskrise wirkte sich nicht nur auf die Bauausführung der Lindenhof-Erweiterung aus, sondern hinterließ ihre Spuren auch bei den Bewohnern. Im Oktober 1932 war bereits jeder fünfte Haushalt im Lindenhof von Arbeitslosigkeit betroffen, wobei die Neumitglieder in den Erweiterungsbauten davon stärker betroffen waren. Zwar hatten so namhafte Betriebe wie Maggi, Schultheiß, Opel oder auch die große Malzfabrik direkt im angrenzenden Industriegebiet ihre Produktionsstandorte, doch aufgrund der Wirtschaftskrise wurden Arbeiter nur noch entlassen, anstatt neu eingestellt. Die Genossenschaft beschloss angesichts der immer prekäreren Lage ihrer Mitglieder, ab November 1932 in den Kellerräumen der Domnauer Straße 21 eine Suppenküche einzurichten, wo bis zu 800 Mahlzeiten am Tag ausgegeben werden konnten, um die schlimmsten Folgen der Erwerbslosigkeit zu lindern – auch dieses Projekt wurde in genossenschaftlicher Eigenregie organisiert und überwiegend von ehrenamtlichen Helfern auf die Beine gestellt. Allerdings sollte die Suppenküche das vorläufig letzte genossenschaftliche Projekt des Lindenhofs und nur von kurzer Dauer sein, denn nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 wurde die Notstandsküche in das NS-Winterhilfswerk eingegliedert sowie der Genossenschaftsvorstand mit regimetreuen Personen besetzt. Auch das im Erweiterungsbau in der Bessemerstraße ansässige Gasthaus Fintel, hier eine Aufnahme aus dem Eröffnungsjahr 1930, wurde im Rahmen von Gleichschaltung und Ideologisierung zu einem SA-Lokal umgewidmet.

Die Gegend um Eyth- und Bessemerstraße hatte im Zweiten Weltkrieg, bedingt durch die Lage in unmittelbarer Nähe zu den Gleisanlagen am Priesterweg und zum Flughafen Tempelhof, enorme Schäden durch Bombenangriffe erlitten. Die nach Kriegsende noch intakten Bauteile entlang der Bessemerstraße wurden im Juli 1945 von den sowjetischen an die amerikanischen Truppen übergeben und bis Ende 1946 von diesen als Kaserne genutzt, bis das neue US-Hauptquartier in den Lichterfelder McNair-Barracks bezogen werden konnte – die „neuen Nachbarn“ waren bei den Lindenhof-Bewohnern jedoch größtenteils unbeliebt. Die beschädigten Gebäudeteile in der Bessemer- und Eythstraße wurden zunächst provisorisch instandgesetzt und notdürftig bewohnbar gemacht, teilweise in Eigenregie durch die Bewohner, bis der offizielle Wiederaufbau des Lindenhofs in den 1950er-Jahren auch hier wieder für intakte Wohnungen sorgte. Das angrenzende Industriegebiet wiederum erfüllte in der Nachkriegszeit eine doppelte Funktion für die Lindenhofbewohner, da zum einen auf dem zerbombten Areal Nahrungsmittel wie Tütensuppen der zerstörten Maggi-Fabrik zu finden waren, andererseits nahmen die Industriebetriebe nach und nach wieder die Produktion auf und boten damit Beschäftigungsmöglichkeiten, primär für die weiblichen Lindenhof-Bewohner als Teilzeit- und Aushilfskräfte. Auf dem Gelände des ehemaligen Maggi-Werks entstand im Zuge des Wiederaufbauprogramms 1955 schließlich die Michaelskirche, womit auch die Lindenhof-Bewohner endlich eine eigene Kirchengemeinde hatten.

Im Gegensatz zum alten Lindenhof, der infolge Kriegsschäden einige Veränderungen am Erscheinungsbild verkraften musste, änderte sich in den Erweiterungsbauten in der Eyth- und der Bessemerstraße nicht viel, wenn man von mehreren Sanierungswellen und unterschiedlichen Fassadenfarben einmal absieht. Die aktuelle, nun unter Denkmalschutz stehende und aus der Wiederaufbauzeit stammende Farbgebung der Fassaden in markantem Rot und Grün wurde 2018 nach einer Begehung mit der Denkmalschutzbehörde und einem Sachverständigen veranlasst.

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