Erzähler: Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen, willkommen bei Geschichte und Geschichten aus dem Lindenhof, einem Projekt der GeWoSüd und des Genossenschaftsforums, in dem es darum geht, die Menschen aus dem Lindenhof zu Wort kommen zu lassen und zu hören, was für sie den Lindenhof ausmacht.
Ich bin Sebastian Mehling vom Genossenschaftsforum. Wir sitzen gleich hier neben dem Bäcker in der Eythstraße 32.
In dieser Folge traf ich Frau Wolter in ihrer Wohnung und sprach mit ihr über das Glück, in einer dieser Torwohnungen über der Reglinstraße untergekommen zu sein, wie es sich überhaupt im denkmalgeschützten Lindenhof wohnt und was das genossenschaftliche Leben hier ausmacht – auch ganz persönlich.
Erzähler: Als erstes wollte ich aber von ihr wissen, wie sie überhaupt über den Lindenhof stolperte und warum sie sich entschloss, hierher zu ziehen.
Frau Wolter: Ich bin in den Lindenhof tatsächlich über einen Freund gekommen, der mir diese Anlage mal gezeigt hat. Und für Genossenschaften habe ich mich schon ganz, ganz früh interessiert. Ich fand diese Idee ganz früher schon mal ganz toll und mein Leben hat dann aber eher am Stadtrand stattgefunden, so ganz klassisch mit Eigenheim und Kindern und Garten. Ich hatte aber irgendwann schon mal das Gefühl, dass ich, wenn ich älter bin, nicht am Stadtrand leben möchte. Lieber mittendrin in der Stadt, wo das Leben stattfindet. Und dann habe ich mich daran erinnert, dass ich diese Genossenschaftsidee ja gut finde und bin schon vor vielen, vielen Jahren in die Genossenschaft eingetreten mit der Idee, irgendwann mal hier, wenn ich älter bin, zu leben. Und meine Lebensumstände haben dann ergeben, dass ich 2015 tatsächlich eine Wohnung gesucht habe und mich an meine Genossenschaftsmitgliedschaft erinnert habe und das große Glück hatte, damals dann auch hier eine Wohnung zu bekommen. Und ich war wirklich überglücklich, hier eine Wohnung gefunden zu haben, weil ich so das Gefühl hatte ja, es ist so was wie so ein Dorf in der Stadt, weil es hier so ruhig ist. Ich wohne mitten in der Stadt und es ist unglaublich ruhig. Ja, man hört natürlich Lebensgeräusche und was wirklich ganz nett ist, dass ich auf der einen Seite die Schule habe, die Grundschule im Lindenhof und dann morgens immer so vor Schulbeginn die Kinderstimmen draußen zu hören oder wenn die auf dem Hof sind oder spielen. Das sind einfach schöne Geräusche und es ist einfach kein Autoverkehr – ja, es ist wirklich wie so ein Dorfleben.
Erzähler: Die Kinder von der Lindenhof Grundschule spielen wirklich fast unter ihrem Fenster, denn Frau Wolter wohnt in der Wohnung direkt über der Reglinstraße im sogenannten Torbogen. Dann gibt es noch gar nicht so lange, obwohl er die historische Anlage von Martin Wagner an dieser Stelle wieder vervollständigt. Frau Wolter erklärt, wie.
Frau Wolter: Das Gebäude ist 2019 neu gebaut worden. Es ist tatsächlich eine Wiederherstellung eines Torhauses, was an dieser Stelle mal stand und war noch die letzte Kriegslücke sozusagen, die wiederhergestellt werden durfte. Die Siedlung ist ja sehr starken Restriktionen des Denkmalschutzes unterworfen. Es ist ja auch ein Gartendenkmal und es wurde aber gestattet, dass dieses eine Gebäude als Neubau in Anlehnung an die vorhandenen Gebäude so wieder errichtet wurde, wie es vor dem Krieg hier stand. Und das Pendant dazu ist am anderen Ende der Reglinstraße. Also im Winter kann ich bis da hinten durchgucken, im Sommer habe ich die schönen Bäume vor der Tür. Und das Tolle ist, dass ich sowohl nach Osten als auch nach Westen die schönen alten Gebäude sehe von hier oben.
Sebastian Mehling: Genau. Wenn wir hier rausgucken, sehen wir auch am Nachbarhaus diese roten Umrahmungen der Fenster oder auch teilweise Grün und eben auch diese an der Fassade angebrachten Holzleisten.
Frau Wolter: Ja, man muss auch sagen, dass die Genossenschaft da sehr viel investiert, dass hier gepflegt wird, weil es ja auch ein Gartendenkmal ist. Ja, das ist mit sehr viel, ja mit einem hohen Aufwand und ich muss ehrlich sagen, mit einer wahnsinnigen Qualität wieder hergestellt worden. Und auch die Neubauten haben eine wahnsinnig hohe Qualität.
Sebastian Mehling: Das ist ja auch schon seit Anfang an Programm hier im Lindenhof gewesen. Hier 1919 auch einfach auch darum ging schnell preiswertes, aber qualitativ hochwertiges Wohnen für eher gering verdienende Familien zu bauen. Und ein Teil dessen war auch eben die kompakte Anlage der Wohnung. Und ihre Wohnung macht auch einen sehr kompakten Eindruck. Wir sitzen hier in der Küche und das ist auch so der zentrale Ort. Hier geht alles von ab oben über uns, also hier unter dem Dach so eine zweite Ebene eingezogen. Dann gibt es ein Schlafzimmer, ein Bad, einen kleinen Stauraum und das war’s.
Frau Wolter: Ja, und das sind tatsächlich nur 57 Quadratmeter, wo man denkt: „Oh, ist ja ganz schön klein“. Aber durch diese wahnsinnig gute Raumaufteilung ist die Wohnung eben großzügig. Sie ist kompakt und ich muss sagen wirklich sehr gut zu händeln. Ja, also es ist einfach nicht viel Aufwand, diese Wohnung zu betreiben, sozusagen, wenn man hier wohnt. Was ja auch wichtig ist, wenn man ein bisschen älter ist und keine Lust hat, mehr so viel Haushalt zu machen.
Erzähler: Eine kompakte Wohnung und wenig Haushalt machen müssen, das klingt schon gut, nicht nur für Ältere. Überhaupt, bietet die Genossenschaft ihren Mitgliedern viele Vorteile, zum Beispiel, unproblematisch die Wohnung zu wechseln, wenn Kinder dazukommen oder wieder ausziehen. Und so war es auch bei Frau Walter.
Sebastian Mehling: Sie wohnten ehemals hier im Lindenhof, in einer anderen Wohnung, und die war größer als die, die sie heute hier haben. Sie haben sich also verkleinert?
Frau Wolter: Genau, ich habe vorher in einer neu errichteten Dachwohnung auf einem denkmalgeschützten Altbau gewohnt und bin dann jetzt vor drei Jahren in diese kleinere Wohnung gezogen, weil meine Kinder auch dann aus dem Haus waren. Das ist, finde ich, übrigens auch eine unheimliche Qualität einer Genossenschaft. Also hätte ich mich, nachdem ich aus der Familienzeit in diese große Dachgeschosswohnung gezogen bin, hätte ich dann irgendwann überlegt: „Die ist mir zu groß, ich möchte umziehen“ – das wäre zu dem damaligen Zeitpunkt 2019, wo das mit den Mieten in Berlin schon so hoch ging, wahrscheinlich ein Problem geworden. Also wahrscheinlich wäre ich nicht ausgezogen. Aber innerhalb einer Genossenschaft hat man einfach durch die Möglichkeit – mit einer gewissen Wartezeit oder sich vorher schon anzumelden – dann auch die Wohnung zu wechseln. Und ich freue mich unheimlich, dass diese große Wohnung – das waren vier Räume also, die war 100 Quadratmeter groß, also fast doppelt so groß – dass in diese Wohnung eine Familie mit Kind eingezogen ist. Und das ist auch ein großer Vorteil und eine gewisse Sicherheit, die man in einer Genossenschaft hat. Alle haben ja den gleichen Status, sie sind alle Mitglied dieser Genossenschaft. Im Grunde sind wir alle ja die Eigentümer dieser Genossenschaft mit unseren Anteilen, mit unserem Mitspracherecht und man hat ein Wohnrecht auf Lebenszeit. Das ist eine unglaublich große Sicherheit und man hat auch so ein Verantwortungsgefühl für die Wohnung, dass man sie pfleglich behandelt oder auch für das, was um einen drumherum ist. Also das ist etwas, was, wenn man irgendwo Mieter ist, in einem Haus anders ist, als in so einer Genossenschaft zu leben.
Erzähler: Genau, genossenschaftliches Leben ist eben viel mehr als einfach nur Wohnen. Und das ist besonders im Lindenhof zu spüren, wenn man sich mal die Zeit nimmt, ihn zu entdecken. Die vielen genossenschaftlichen Einrichtungen hier, die es teilweise schon so lange gibt wie das Waschhaus oder das Café am See, die vielen Gärten und ihre Gärtner:innen. Und mit etwas Glück treffen Sie in einem dieser Gärten vielleicht auch Frau Wolter bei ihrem alten Quittenbaum und bekommen ein paar Früchte ab.
Frau Wolter: Ich bin seit zweieinhalb Jahren im Ruhestand und kriege jetzt noch mal einen ganz anderen Aspekt des Lebens hier im Lindenhof mit, weil ich ja früher morgens aus dem Haus gegangen bin, abends wiedergekommen bin und es nur am Wochenende sozusagen genossen habe. Aber es gibt so Tage, an denen bewege ich mich eigentlich nur im Lindenhof, weil eigentlich hat man hier alles. Ja, wenn man hier unterwegs ist im Lindenhof trifft man eigentlich immer jemanden. Und ich habe zum Beispiel inzwischen seit einem Jahr einen kleinen Garten bekommen, direkt von meiner Wohnung. Und über den kleinen Garten habe ich ganz viele Leute noch mal kennengelernt, denn in dem kleinen Garten steht ein riesiger alter Quittenbaum, der vermutlich sogar aus der Zeit der Errichtung noch stammt. Und der trägt immer so viele Früchte, dass ich die gar nicht alleine verarbeiten kann. Und darüber habe ich ziemlich viele Nachbarn kennengelernt. Im Winter ist man natürlich nicht im Garten, aber wenn dann der Sommer losgeht und man geht wieder raus, dann trifft man seine Gartennachbarn und plaudert ein bisschen: „Was ist denn inzwischen passiert?“, oder gibt sich Tipps. Ja, und das ist eine Sache, die damals vor über 100 Jahren angelegt worden ist und immer noch genauso funktioniert.
Oder auch die Angebote, die die Genossenschaft selber macht, es gibt diese tollen Einrichtungen hier, wie zum Beispiel das Waschhaus. Es ist wirklich wie ein Marktplatz. Also wenn man da hinkommt. Man plaudert ja immer mit Frau Felix, erfährt alle möglichen Dinge. Sie verteilt auch die Laubsäcke. Also Sie ist so eine Anlaufstelle für alle möglichen Dinge. Und man trifft ja auch ab und zu mal jemanden, der da seine Wäsche hinbringt, abholt oder irgendwie an der Mangel steht oder an der Waschmaschine. Also und das gibt es schon so lange und funktioniert immer noch.
Und für mich ist das eine Art von Geborgenheit, hier in der Genossenschaft zu wohnen. Ich weiß, dass es Nachbarn gibt, wenn ich Hilfe bräuchte, an die ich mich wenden kann. Und die Genossenschaft hat ja auch Sozialarbeiter, die einem zur Not auch was organisieren, was Pflege, Unterstützung, usw. angeht. Das ist einfach ein gutes Gefühl. Ja, man ist nicht von Verdrängung – entweder über hohe Mieten oder über die eigene Einschränkungen – bedroht. Also, dass man sich über seine Wohnungssituation nicht dauernd Gedanken machen muss, sondern in einer tollen Situation wohnt und auch weiß, da gibt es auch irgendwelche Möglichkeiten, die auch für die jeweilige, dann vielleicht kommende Lebenssituation noch passen.
Erzähler: Zum Abschluss musste ich Frau Wolter natürlich noch meine Lieblingsfrage stellen..
Sebastian Mehling: Was ist Ihr Lieblingsort hier im Lindenhof?
Frau Wolter: Tatsächlich der Weiher und der Weg um den Weiher. Also da bin ich, wenn ich das Gefühl habe, ich muss mal raus, weil ich ja nun keinen Balkon habe und ich nicht hier auf den Balkon treten kann. Dann mache ich manchmal einfach nur einen Spaziergang um den Weiher und da kann man in die eine Richtung oder die andere Richtung laufen. Und im Sommer kann man noch einen Kaffee trinken und sich da ein bisschen hinsetzen. Oder manchmal gehe ich auch im Sommer, wenn es einigermaßen warm ist, schon unten an den Weiher, setze mich auf die Bank und lese da Zeitung. Das ist ja ist eigentlich mein Lieblingsort.Das Häuschen dort ist auch so nett, was da wieder hergerichtet worden ist, in dem das Café drin ist. Das ist auch so schön. Also es sind einfach wirklich schöne Orte hier. Das ist auch ein wirklich ein toller Aspekt hier bei dem Leben im Lindenhof.
Sebastian Mehling: Das heißt, Sie werden auch noch eine Weile hier wohnen bleiben.
Frau Wolter: Ich werde hier immer wohnen bleiben. Ich werde hier nicht mehr wegziehen (lacht).
Erzähler Das war unsere Folge zur Stele zwei im Rundgang der GewoSüd zur Geschichte und den Geschichten des Lindenhofs.
Ihr findet weitere Unterhaltung von mir mit Lindenhofern auf den anderen Stelen und weiteres Wissenswertes über die Genossenschaften in Berlin, ihre Geschichte und aktuelle Entwicklungen erfahrt ihr bei uns im Werkraum des Genossenschaftsforums. Jeden Donnerstag, 15 bis 18 uhr, haben wir unsere Ausstellung geöffnet und jeden zweiten Samstag im Monat führen wir durch den Lindenhof.
Aber jetzt erst einmal vielen Dank fürs Hören und bis bald, euer Sebastian Mehling.