Stele Nr.4: Das Café am See und GehWoHin mit Claudia Krüger und Katja Schiller
Erzähler: Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen, willkommen bei Geschichte und Geschichten aus dem Lindenhof. Dies ist ein Projekt der GeWoSüd und des Genossenschaftsforums, in dem es darum geht, die Menschen aus dem Lindenhof zu Wort kommen zu lassen und zu hören, was für sie den Lindenhof ausmacht. Ich bin Sebastian Mehling vom Genossenschaftsforum. Wir sitzen hier im Werkraum in der Eythstraße 32.
Für diese Folge saß ich mit Katja und Claudia im Sommer 2023 im legendären Café am See der Genossenschaft. Claudia ist die Köchin des Cafés und Katja organisiert für die Genossenschaft die Mitgliederbetreuung. Wir plauderten über Königsberger Klops, Schildkröten über musikalische Früherziehung, das Lindenhoffest und über vieles mehr, was es rund um den See zu entdecken gibt. Hört mal rein.
Erzähler: Das Café am See ist in einem dieser beiden kleinen Häuschen am Strand. Dort war aber nicht immer schon ein Café. Was es mit dem Häuschen früher auf sich hatte, ist eine Quizfrage, die wir vom Genossenschaftsforum Schülerinnen stellen, wenn wir sie durch den Lindenhof führen.
Sebastian: Wir machen ja auch vom Werkraum einen kleinen Quiz hier mit den Grundschülern und die sind, glaube ich, mal zu dir, Claudia, hier reingekommen, um zu recherchieren, was hier früher drin war. Und ich glaube, du hast ihnen gesagt: ein Lagerraum.
Claudia: Genau, ein Lager für die Möbel, die man draußen benutzt hat, am Badestrand. Und die Damen durften sich dann hier drin umziehen, um neugierigen Blicken zu entgehen.
Sebastian: Jedenfalls die, die dann mit dem heißen Infos von dir kamen und Lagerraum gesagt haben, haben von mir glatte null Punkte gekriegt, weil ich Umkleidekabine hören wollte.
Claudia: [lacht] Ja, okay.
Sebastian: Aber seit wann gibt es denn das Café am See?
Claudia: Seit zehn Jahren.
Sebastian: Und machst du es schon seit zehn Jahren?
Claudia: Ich bin von Anfang an dabei.
Sebastian: Wie ist es zu dieser Idee gekommen? Wer hatte die zündende Idee?
Katja: Die Idee kommt meines Wissens nach von Herrn Reinelt. Der Vorstand der GeWoSüd war und es ging ihm damals so Es gab ja, wenn man die Geschichte der GeWoSüd, gerade des Lindenhofes anguckt, da steht die Idee der Suppenküche für die Mitglieder hinter: Das man sich halt für kleines Geld eine hochwertige und günstige Mahlzeit leisten kann. Das war so der Gedanke dahinter.
Claudia: Und dann sagte Herr Reinelt: „Na, kann man das nicht vielleicht an fünf Tagen die Woche machen?“ Ich sagte:“ Nein, ich lass mir was einfallen, weil fünf Tage die Woche möchte keiner Eintopf essen.“ Und so entsprang dann bei mir die Idee, dass man am Montag und am Mittwoch Eintöpfe gibt und an den anderen Tagen andere Gerichte mit Kartoffeln oder Nudeln oder Reis.
Sebastian: Und freitags Fisch.
Claudia: Der hat sich erst sehr spät eingeschlichen, der Freitags-Fisch. Also ich sage mal, ich glaube so, seit sechs Jahren ungefähr gibt es Freitag traditionell immer Fisch.
Sebastian: Und wurde das von Anfang an gut angenommen, diese Suppenküchen Idee?
Claudia: Also ich sage mal, die erste Zeit war es ein bisschen schleppend und dann wurde es zum Selbstläufer. Dann kamen die von ganz alleine, durch Mundpropaganda: „Ahh, da schmeckt es aber sehr gut, da musst du mal runtergehen!“ Und dann ist das so entstanden, dann war es wirklich ein Selbstläufer. Und Königsberger Klopse sowie süßsaure Eier sind hier die absoluten Renner.
Sebastian: Wer kommt denn hierher?
Claudia: Es kommen alle Altersklassen, kann man sagen, von jungen Muttis, die gerade ihre Babys bekommen haben, Ältere und mittleres Alter, also unterschiedlich. Die, die Zeit haben, nicht arbeiten gehen oder Urlaub haben, zu Hause sind im Babyjahr, Rentner – die kommen hierher, essen hier oder nehmen sich ihr Essen mit.
Sebastian: Wow, das gibt es also auch to-go?
Claudia: Ja
Sebastian: Und wie viel Essen machst du so an einem Tag hier im Lindenhof?
Claudia: Ich sage mal, der Schnitt liegt zwischen 30 und 35 Essen pro Tag.
Sebastian: Und das ist vor allem für Mitglieder?
Claudia: Nur für Mitglieder.
Erzähler: Dass die GeWoSüd hier das Café betreibt, um ihren Mitgliedern jeden Tag ein gutes und günstiges Mittagessen anbieten zu können, ist schon was Besonderes. Aber wie Katja sagte, hier im Lindenhof hat das Tradition. Eine Suppenküche gab es nämlich gleich am Anfang des Lindenhofs schon, als er in die schweren Jahre nach dem Ersten Weltkrieg hinein gegründet wurde und in dem Gebäude, in dem heute die Grundschule ist, ein Obdachlosenheim samt Suppenküche eingerichtet worden war. Aber auch in den nicht ganz so einfachen Pandemie-Zeiten war das Café ein wichtiger Anlaufpunkt für die Genossenschaftsmitglieder. Claudia erinnert sich.
Claudia: Mein Kaffee lief während Corona ganz wunderbar. Wir haben essen to-go angeboten. Wir haben dann übers Fenster verkauft und die Nutzer – wenn sie einmal treu sind, dann bleiben seien auch treu, echt treue Seelen. Die sind alle mit ihren Tupper-Behältern oder Henkelmännern gekommen, haben sich ihr Essen geholt und dann sind sie wieder gegangen.
Katja: Seit dem gibt es auch erst to-go, vorher gab es das gar nicht.
Claudia: Da war das ganz selten. Da hatte ich ein, zwei Pärchen, die wirklich mit ihren Kochtopf runter gekommen sind und sich das Essen mit nach Hause genommen haben. Aber durch Corona war galt das dann für alle irgendwo.
Sebastian: Die waren wahrscheinlich froh, dass es überhaupt was zu essen gab, dass es nicht auch einfach zu und weg war.Und das war wahrscheinlich auch ein guter Anlaufpunkt, dass die Leute sich dann doch überhaupt irgendwo treffen konnten.
Katja: Sie hatten einen Spaziergang, Sie gingen raus und hatten ein Ziel.
Claudia: Und man konnte kurz mal ein Pläuschen am Fenster machen. Und sie waren absolut dankbar. Es gibt ja viele Alleinstehende, unter anderen viele Männer, die kommen wirklich von Montag bis Freitag und da waren die so was von dankbar, dass sie selbst während Corona ihr Mittagessen bekommen.
Sebastian: Ja, wahrscheinlich Mittagessen und einen kleinen Plausch.
Katja: Und ich habe für Sorgen und Nöte vorne auf dem Podest vor dem GeWoHin gestanden. Man durfte ja nirgendwo rein, aber dort konnten wir den Abstand wahren. Also, da habe ich dann mittags Wegelagerei betrieben und das hat sich auch schnell rumgesprochen. Dann kamen die Leute dann zur Außensprechstunde.
Sebastian: Du hast also dein Schreibtisch unter die Bäume geräumt?
Katja: Na ja, mit Handy geht das alles.
Erzähler: Das ist Katja, die hier für die GeWoSüd im Lindenhof die Mitgliederbetreuung organisiert. Und sie hat nicht nur kurzerhand während der Pandemie ihr Büro unter die Bäume des Lindenhofs gesetzt, um weiter für die Mitglieder erreichbar zu sein. Fast jeder hat hier ihre Handynummer. Ich natürlich auch. Und natürlich hatte sie auch beim Organisieren des Cafés am See ihre Finger mit im Spiel.
Katja: Es ging damals für mich eigentlich darum: „Haben Sie eine Idee? Wer könnte hier arbeiten, wer könnte das stemmen?“ Und da ist mir damals dann die Claudia eingefallen und das hat alles wunderbar geklappt. Da freue ich mich bis heute darüber, dass das auch geklappt hat. Zuerst, wie Claudia gerade schon gesagt hat, wusste man nicht ganz genau, wo geht die Reise damit hin? Was tatsächlich im Lindenhof typisch ist, wenn du dir irgendein Angebot überlegt hast – Doppelkopf oder Kochschule – das fängt erst mit ganz klein an und irgendwann sind die Gruppen so voll, dass du auch wieder sagen musst: „Hm, vielleicht zum nächsten Termin lieber anmelden.“ Das ist typisch hier, dass viele Angebote lange brauchen, bis sie richtig funktionieren.
Erzähler: Also bisher zusammengefasst: Die Lindenhofer aus ihren guten Stuben zu locken, ist nicht ganz so einfach. Aber wenn man es erst einmal geschafft hat, dann sind sie voll dabei und bleiben es auch. Und genauso ist es auch mit dem GehWoHin. Ich fragte Katja, was ich hinter der Aufforderung der GeWoSüd sieht mal wo hinzugehen versteckt.
Katja: Das „GehWoHin“ ist ein Nachbarschaftstreff der GeWoSüd und ich habe hier 2005 angefangen und eine der Aufgaben mit der damaligen Sozialarbeiterin Frau Helene Böhm war halt, hier Leben in die Nachbarschaftstreff zu kriegen. Also sich verschiedene Angebote zu überlegen, Akteure zu finden, die das mitmachen, die das mit unterstützen. Anfangs war es dann eine Kochschule, Doppelkopf, Singen, ein Frühstück, ein Nachmittagskaffee – also, all solche Sachen, alles zum Teil selbst organisiert durch die Nutzer, und unterstützt von uns. Aber das waren so die Anfänge.
Sebastian: Das ist ja für eine Genossenschaft ganz wichtig, dass es so ein Gemeinschaftsraum gibt, wo die Mitglieder auch so nach dem Prinzip der Selbsthilfe für sich und andere in der Genossenschaft was Gemeinschaftliches anbieten können. Was gibt es denn zum Beispiel, wenn ich heute zum GehWoHin gehen würde, was gibt es da so im Angebot?
Katja: Also schlag heute nix [lacht] Das kannst du immer unseren Programm aushängen entnehmen. Das ist auch mittlerweile so ein bisschen kombiniert. Es gibt noch eine Gruppe von GehWoSelbst, da gibt es dann heute Nachmittag ein Angebot:. Im Park wird Boule gespielt. Das ist immer am Montag. Dann gibt es noch Pokern. Das ist auch heute Abend. Das gibt es alle 14 Tage. Logisch, ohne Geld. Morgen gibt es kreatives Schreiben. Das ist aber in der alten Tischlerei, das wird auch von einer Nutzerin angeboten. Und da hat sie auch immer so eine kleine Gruppe, die sich da einfindet und die machen kreatives Schreiben zusammen. Nachmittags gibt musikalische Früherziehung, morgen Nachmittag, falls du Lust hast.
Sebastian: Ich glaube, dass ein bisschen zu spät für mich. Aber genau da drüben im Park. Das ist ja dann neben dem GehWoHin, da gibt es ja auch das legendäre Parkfest. Ich habe ja auch noch mal ein bisschen recherchiert und das gibt es seit 1923, also in diesem Jahr heißt es: 100 Jahre Parkfest. Hast du was Besonderes vor? Du bist ja auch mit dabei, wenn das organisiert wird.
Katja: Ja, wir haben im letzten Jahr ja schon ein Kinderfest gemacht und dieses Jahr machen wir auch ein Kinderfest. Das ist auch eigentlich der Ursprung. Also eigentlich ist es ja ein Umzug gewesen durch die Siedlung mit einem Motto und Leiterwagen sind gezogen worden und es war eigentlich immer so ein bisschen eher ein Kinderfest.
Sebastian: Was ich auch besonders toll fand, war ich glaube, das war die DLRG mit einem Ruderboot auf dem Teich.Früher wurde hier gerudert, geangelt, gebadet. Das gibt es aber schon lange nicht mehr.
Katja: Das gibt es tatsächlich schon eine ganze Weile nicht mehr. Also ich kenne auch den Angelverein immer nur noch vom Hören und Sagen. Und die DLRG, die ist uns wirklich seit ganz, ganz vielen Jahren treu und unterstützt uns zum Park bzw Kinderfest und bietet das dann an, dass sie mit unseren Paddelbooten über den Weiher rudern und die Aktion für die Kinder durchführen.
Sebastian: Und vor allem ist es ja jetzt auch so eine Art Naturlandschaft. Ich glaube, ich saß mal mit einem Café hier am Café am See und habe auf die andere Seite des des Teiches geschaut und einen Reiher gesehen, der da rumstolzierte. Es gibt Frösche, Fische…
Katja: …Schildkröten.
Sebastian: Schildkröten? Wirklich?
Claudia: Ja, Gelbkopfschildkröten.
Katja: Ganz viele sogar.
Sebastian: Das hätte ich nicht gedacht, dass es in Berlin Schildkröten gibt. Hat die jemand ausgesetzte?
Claudia: Wahrscheinlich irgendwann mal. Aber wenn man gut ist und beobachtet, viel Sonne ist, schwimmen die sogar bis hier rüber, die Kleinen..
Sebastian: Aber ich habe auch gehört, dass du gerne Frösche dirigierst.
Katja: Ja, stimmt . Das habe ich aus Versehen mal gemacht.
Claudia: Im Dreivierteltakt.
Sebastian: Also, es ein richtiges Froschkonzert, wie kann man sich das vorstellen?
Katja: Na ja, das sind eigentlich keine Frösche, habe ich mir erklären lassen. Das sollen Unken sein, die so einen Lärm machen. Und das ist immer so im Mai. Für drei, vier Wochen sind die ziemlich laut. Und das war während einer Veranstaltung von GehWoHin. Und da war ich diejenige, die den Kaffee ausschenken durfte und hatte viel Zeitraum dazwischen und stand dann auf meinem Podest und habe gesagt: „So, jetzt mal die eine Seite, und jetzt mal die andere Seite und jetzt mal alle!“ Die quakten aber immer und haben auch null auf mich gehört.
Sebastian: Eine Quakophonie.
Katja: Ja, genau. Also es sollen aber Unken sein und die sind sehr laut. Vor allem abends sind sie gut zu hören.
Erzähler: Also rund um den Teich ist einiges los. Neben der täglich frischen Küche von Claudia im Café kann man hier Boule spielen, pokern und abends im Mai einem Konzert lauschen oder den Schildkröten beim Sonnen zuschauen. Am Schluss unseres Gespräches habe ich Katja und Claudia noch gefragt, was den Lindenhof für sie ausmacht.
Claudia: Ich sage ich immer: Die Menschen sind das, was es ausmacht, warum es Spaß macht, hier zu arbeiten. Die Dankbarkeit dann auch von den Leuten, denn sie kommen immer wieder und dann am nächsten Tag heißt es: „Ahh, Claudia, das hat so lecker geschmeckt und danke!“ Und ja, das ist eigentlich das, was es ausmacht, jeden Tag hierher zu kommen, von neuen was zu kochen, sich neue Gerichte auszudenken, eben die Menschen im Lindenhof. Also, ich finde sie einmalig irgendwo. Es ist ein Dorf mitten in Berlin und wer Dorfleben liebt der mag den Lindenhof.
Katja: Das ist halt für mich immer so ein Stück weit noch eine funktionierende Nachbarschaft. Es hat schon ein dörflichen Charakter, das muss man mögen, Aber für die, die hier wohnen, überwiegen eigentlich die Vorteile.
Sebastian: Und es wird dann auch am nächsten Tag, wenn wir mal das Licht abends vergessen haben auszustellen, freundlich, darauf hingewiesen.
Katja: Genauso.
Claudia: 100 prozentig [lacht].
Sebastian: Ja, das ist auch so ein bisschen der Lindenhof. Man guckt, dass alles in Ordnung ist [alle lachen]
Erzähler: Das war unsere Folge zur Stele 4 im Rundgang zur Geschichte und den Geschichten des Lindenhofs, ein Projekt der GeWoSüd und des Genossenschaftsforums. Ihr findet weitere Unterhaltungen von mir mit Lindenhofern auf den anderen Stelen, zum Beispiel darüber, wie es ist, hier aufzuwachsen oder über das Waschhaus und welche Bedeutung es für den Lindenhof hat. Und natürlich vieles mehr.
Wenn ihr mehr über Genossenschaften in Berlin, ihre Geschichte und aktuellen Entwicklungen erfahren wollt, kommt uns im Werkraum besuchen. Jeden Donnerstag, von 15 bis 18 Uhr, haben wir unsere Ausstellung geöffnet und jeden zweiten Samstag im Monat führen wir durch den Lindenhof. Anmeldung unter Info@berliner-genossenschaftsforum.de. Oder ihr kommt einfach bei uns vorbei und sagt Bescheid.
Also bis bald, Euer Sebastian Mehling.