100 JahreLindenhof

Stele 4 – Mietergärten/Schule

Selbstversorgung – das war das Gebot der Stunde und eines der wichtigsten Kriterien beim Bau des Lindenhofs 1919. Ausgehend von der Idee der sogenannten „Gartenstadt“, die sich in Großbritannien Ende des 19. Jahrhunderts verbreitete, entwarf Martin Wagner eine Siedlung, die neben günstigem Wohnraum zugleich ein schönes, lebenswertes und grünes Umfeld zu bieten hatte. Als Reaktion auf den erheblichen Wohnungsmangel und die Engpässe in der Lebensmittelversorgung infolge des 1. Weltkrieges stand dabei neben der kurzfristigen Schaffung von bezahlbarem Wohnraum die bereits erwähnte Selbstversorgung im Vordergrund: Jeder Haushalt im Lindenhof bekam einen 80 Quadratmeter großen Mietergarten für Anbau und Nutztierhaltung zugewiesen, Läden für den täglichen Bedarf innerhalb der Siedlung wie Bäcker, Fleischer und Kolonialwarenhändler verkauften Waren, die nicht selbst angebaut werden konnten, und fahrende Händler versorgten die Bewohner mit frischen und verderblichen Produkten wie Milch und Käse. Weitgehende Lebensmittelautarkie erreichte der Lindenhof zudem mit Obstbäumen und einem Gewächshaus sowie einem fest angestellten Gärtner, der unerfahrene Bewohner bei der Bewirtschaftung ihres Mietergartens beriet und die Pflege der gemeinschaftlichen Grünanlagen übernahm. Außerdem steigerten eine ergänzende Infrastruktur wie die Schule oder nahe gelegene Industriegebiete sowie Grünanlagen wie der Lindenhof-Weiher den Wohnwert und ermöglichten den Bewohnern ein Leben und Arbeiten im Grünen. Kurzum: Licht, Luft und Sonne – die Schlagworte der Reformbaubewegung – konnten hier umfassend verwirklicht werden.

Das Gebäude der Lindenhofschule entstand bereits 1910 und war zunächst ein Obdachlosenheim im Randbereich der Stadt Schöneberg, ehe ab 1920 hier Unterricht für Kinder der ersten Lindenhofbewohner – anfangs in kleinen Klassen – stattfand. 1921 wurde das Obdachlosenheim offiziell zur Volksschule umgewidmet, wobei in den Anfangsjahren noch zu erkennen war, dass es sich nicht ursprünglich um ein Schulgebäude handelte: So gab es noch eine Auktionshalle, in der die Habseligkeiten ehemaliger Obdachloser versteigert wurden.
Nach der Eingliederung in den Lindenhof wuchs die Schule stetig, bis sie 1928 eine acht Klassen umfassende Volksschule mit Turnhalle, Kinderhort sowie einer „Freiluftklasse“ geworden war. Über einen direkten Weg durch die Mietergärten hindurch, die sogenannte „Schul-Achse“, war die Schule mit dem Weiher verbunden, wo die Freiluftaktivitäten und vor dem Bau der Turnhalle auch der Sport der Schulkinder stattfanden. Das Schulgebäude diente jedoch nicht allein dem Schulbetrieb, sondern stand nach Unterrichtsschluss auch den zahlreichen Vereinen des Lindenhofs zur Verfügung. So gab es beispielsweise einen Rollschuh-Club und einen gemischten Chor, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Nach den umfangreichen Kriegszerstörungen im Lindenhof im August 1943 fand kein Unterricht mehr statt und die Lindenhofschule diente bis Kriegsende als Lazarett und Luftschutzraum.

Der Wiederaufbau des Lindenhofs in den 1950er-Jahren wurde dazu genutzt, die Lindenhofschule aus der Genossenschaft auszugliedern und zu vergrößern, indem auf die Wiedererrichtung der zerstörten Häuser in der Domnauer Str. 1 bis 11 nach langen Verhandlungen mit dem Bezirk Schöneberg verzichtet wurde. Infolgedessen entstand 1957 an der Turnhalle ein Erweiterungsbau mit vier Klassenräumen, der teilweise auf den Grundstücken der ehemaligen Wohnhäuser in der Domnauer Straße steht. Die Lindenhofschule ist seither eine sechs Klassen umfassende, öffentliche Grundschule mit einem erweiterten Einzugsgebiet, das über die Siedlung hinausgeht.
Im Rahmen des Wiederaufbaus wurden zudem die Mietergärten beseitigt und in Grünflächen bzw. Kfz-Stellplätze umgewandelt, die zusammen mit den neu errichteten Zeilenbauten dem damals modernen Konzept der „aufgelockerten Stadt“ entsprachen. Erst 2018 wurden in Vorbereitung des hundertjährigen Jubiläums unserer Genossenschaft die Mietergärten entlang der Schul-Achse in Anlehnung an ihre historische Gestaltung neu angelegt. Zusammen mit den aus der Ursprungszeit noch erhalten gebliebenen Gärten der Reihenhäuser und der Häuser in der Domnauer Straße entstand auf diese Weise eine moderne Version der historischen Gartenstadt-Idee.

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